Folkcorn

Ein unbezahlter Botschafter

Ein Blick auf unsere jedes Jahr stattfindende Sommerferien-Tournee.

Bald sind wir im Ausland bekannter als zu Hause: Folkcorn, historische Volksmusik aus den Niederlanden. Ob es nun ein Konzert in Kaliningrad (Russland), in Mörfelden-Walldorf (Deutschland), in la Bisbal (Spanien) oder in Martal (Frankreich) ist, immer drängen sich nachher die Leute um uns, wollen CDs kaufen oder Fotos machen und gehen nicht eher, bis wir alle vier ein Autogramm gegeben haben. Wir sind sozusagen berühmt! Das stimmt natürlich gar nicht, aber komisch ist es schon…

Folkcorn ist eine semiprofessionelle Band, die alte niederländische Volksmusik aus der Zeit zwischen ca. 1400 und 1900 spielt, eine Zeit, in der die Landesgrenzen noch anders verliefen als heute und es noch kein Urheberrecht gab. Es gibt also viele Berührungspunkte und Überschneidungen zwischen unseren musikalischen Wurzeln und denen der Belgier, Franzosen, Deutschen und Engländer, um nur einige Nachbarn zu nennen. Wir sind eine der ältesten noch bestehenden Folkgruppen, 1972/73 gegründet, seit 1991 in der heutigen Besetzung, und vollauf aktiv: Unsere vierte CD, der siebente Tonträger, ist im November 2010 erschienen und auf unserer schönen Webseite www.folkcorn.nl trudelt Fanpost aus der ganzen Welt ein. In den Niederlanden spielen wir regelmäßig bei mittelalterlichen Banketten (in alten holländischen Kostümen) oder im niederländischen Freiluftmuseum, aber auch vor aufwändigeren Arbeiten wie dem Erstellen eines neuen Programms scheuen wir nicht zurück. Im Oktober 2002 haben wir zum Beispiel ein „Erzählkonzert“ unter dem Titel „Spys ende Dranck“ ins Leben gerufen, bei dem Erzähler Walter van Wingerden Geschichten über das Landleben und das Essen und Trinken in früheren Zeiten darbietet. Wenn wir davon leben müssten, blieben wir allerdings arm. Wir haben deswegen alle einen Beruf und machen nebenbei Musik, vielleicht auch andersherum, aber immer mit einer kritischen Haltung und dem Streben nach professioneller Qualität. Wonach wir auch streben – da sind wir ganz menschlich – ist hier und da ein bisschen Anerkennung, schöne Frauen, die für ein Autogramm anstehen (hier spricht der Flötist), und dafür müssen wir sowieso ins Ausland.

Wir sind zwei Paare, was sehr praktisch ist. Einladungen für Konzerte im Ausland kommen von Botschaften, Festspielen, Bekannten und Unbekannten. Falls es ein nicht oder slecht bezahltes Konzert betrifft, arbeiten wir nach dem gleichen Motto wie die alten Barden: der Geldbeutel bleibt zu, Musik wird für Essen, reichlich Getränke und Unterkunft eingetauscht. Bei unseren Konzerten erklären wir die Lieder in einer Sprache, die so weit wie möglich der jeweiligen Landessprache ähnelt. Unsere Kontakte kommen von überall her. Aus der Hälfte dieser viel versprechenden Kontakte wird nichts, aber aus der anderen Hälfte und den spontanen Einladungen vor Ort kann man eine ganze Menge machen. Zum Beispiel: Im Sommer 2002 waren wir in Nord-Spanien und Frankreich: La Bisbal und Torelles de Lobregat in Spanien und einige Orte in Mittel- und Südfrankreich: Druyes-les-belles-Fontaines (wo wir ein Benefizkonzert für den Restaurationsfonds eines Schlosses gaben), Sompt bei Poitiers (ein gutbesuchtes Hauskonzert in einem Bildungshaus mit angeschlossener Wohnung), Martal bei Aurillac (für das französische und niederländische Publikum auf einem Campingplatz, und ein Konzert für das ganze Dorf bei einem Holländer zu Hause), und außerdem auf einem Campingplatz in den Pyrenäen bei Prades. Kurz davor, an einem glühendheißen Sonntag, dem 16. Juni, liefen wir noch als mittelalterliche Musikanten durch die Straßen des kleinen deutschen Örtchens Walldorf, der Partnerstadt unserer Heimatstadt Wageningen. Zum Schluß gab es dort noch ein gut besuchtes Open-Air-Konzert. Kein Wunder, dass in einem deutschen Dankesbrief stand: „Ein wenig hatte ich Sorge wegen der Rückfahrt. Ihr saht so furchtbar erschöpft aus.“ Aber die große Begeisterung des Publikums und die Scharen von Menschen, die uns jedes Mal umringten, entschädigten uns für alles.

Und so war es auch in Frankreich und Spanien und in Polen, Deutschland, England und Mittelfrankreich, ja und auch bei unseren Reisen in die USA, zum Festival „Memphis in May“ 2001 und zum „Western Kansas Blues Festival“ 1995. In 2004 wurden wir von Holländern nach Kanada eingeladen, In 2006 spielten wir in Normanien und Skandinavien, in 2007 in Turkmenistan, Deutschland, der Schweiz und Indonesien und in 2009 und 2010 abermals in Deutschland. Später kamen auch Bulgarien, die Türkei und Russland, und in 2015 spielten wir in Litauen und Uzbekistan. Ja, es ist eine schwere, aber ehrenvolle Aufgabe, Botschafter zu sein!

Laurens van der Zee (Folkcorn)