von Laurens van der Zee.
Es folgt die Übersetzung eines Artikels den ich für die "Mokum Folk Agenda" geschrieben habe – eine Monatszeitschrift der Folkvereinigung in Amsterdam.
Die Herausgeber der 'Agenda' haben mich gebeten, Ihnen etwas über Folkcorn zu erzählen, eine Band, zu der ich gehöre. Die Mitglieder dieser Gruppe haben kein kollektives Bewußtsein oder so etwas und da ich nicht genug Zeit hatte, die Zustimmung meiner Freunde einzuholen, spreche ich hier nur für mich selbst.
Folkcorn entstand 1972/1973 in Wageningen (eine Stadt in der Provinz Gelderland westlich von Arnhem), als Cees de Gooijer eine Einladung bekam, alte Musikinstrumente vorzuführen. Er bat daraufhin Jitze Kopinga, ihm als Musiker zu helfen – das klappte gut und bald kam auch meine Schwester, Marja van der Zee dazu. Die Gruppe blieb bis 1978 zusammen. Cees ging und ich kam an seiner Stelle. Die alte Gruppe nahm zwei Schallplatten bei dem Label „Stoof“ auf: "Welkom Gesellen" und "Goedenavond Speelman".
Am Anfang versuchte die Gruppe manchmal alte holländische Gesangstricks auszuführen. Marja sagt dazu heute: "Wie konnten wir nur!" Ab und an gingen Aufführungen auch daneben und wir schossen mit unseren Instrumenten und mit der Technik einen Bock. Einmal fiel ein Dudelsack beim Spielen auseinander, ein anderes Mal verlor Cees' meterlange 'Saiten-Trompete', eine Art Saiteninstrument, ihren Steg, der mit großem Getöse ins Publikum flog.
Von Anfang an haben wir unsere Musik entspannt und schlicht ohne Kostüme vorgetragen. Zuerst gehörten auch Stücke aus Irland, Frankreich und Deutschland zu unserem Repertoire. Ich finde es immer noch schade, dass ein altes deutsches Lied von Ludwig Senfel, das Cees mit viel Gefühl vortrug, nie auf Video aufgenommen wurde. Wenn wir unser 50jähriges Bestehen feiern, werde ich immer dieses Lied verlangen!
Schon immer haben wir alte Stücke frei arrangiert. Zum Beispiel haben wir die beiden Melodien zu dem Stück "Slaat op den trommele" (Schlag auf die Trommel) zu einem Lied zusammengefügt (eine der Melodien stammt vermutlich aus dem Norden der Niederlande, die andere aus dem Süden). Dieses Lied entstand zwischen 1568 und 1648, in der Zeit des Aufstands der Niederlande gegen den spanischen König. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die etwas jazzige Version von "Jan als ruiter" (Jan der Reiter) auf der L.P. "Goedenavond Speelman". Das 'Swing-Element' bei dieser Nummer und einigen anderen wurde nach 1978 noch ausgeprägter und verstärkt, als einige Jahre später Anneke Rot als viertes Mitglied der Gruppe dazukam. Zum Beispiel die ohnehin schon innovative Version von "Mijn vader gaf mij enen man" (Mein Vater gab mir einen Mann) auf der L.P. "Al Vol"__1980_wurde von ihr noch gesteigert. Bei diesem Stück spielt Anneke eine bestimmte Kadenz auf der Concertina. Jitze spielt auf dem Dulcimer eine zweite Stimme und singt noch eine dritte darüber. Ich spiele zuerst die Hauptmelodie auf der Tenorflöte und später eine schwere und leise Parallele eine Quinte tiefer. Über all diesem singt Marja ganz allein eine große Klage über eine Frau, die mit einem alten Mann verheiratet wird.
Eine andere Eigenart unserer Gruppe ist der mehrstimmige Gesang. Erfreulicherweise übernehmen dies heutzutage auch andere Gruppen. Früher war Folkcorn in dieser Hinsicht ein schwarzes Schaf unter den Folkgruppen, weil wir eigene dreistimmige Arrangements schrieben und Madrigale a capella und manchmal auch polyphon sangen, d.h. mit verschiedenen Rhythmen, zum Beispiel: "Venus", "De Nachtegaal", "Wie was degene die de loverkens brak" und "Het vloog een klein wild vogelken".....Ich werde hier nicht auf das Altniederländisch eingehen. Einige dieser Lieder gehören immer noch zu unserem Notfall-Repertoire für Kaffeekonzerte, die ausschließlich von älteren Damen besucht werden. Als Anneke dazukam, hatten wir zu ihrer großen Enttäuschung gerade "Venus" gestrichen. Auf ihren besonderen Wunsch haben wir es jetzt wieder aufgenommen und ich muß zugeben, dass sie Recht hatte. Wir singen immer noch gern vierstimmig und wechseln aus Spaß manchmal zum Kazoo. Mit ernster Miene behaupten wir dann, dass es fast wie ein Krummhorn klingt.
Ein Problem bei dieser alten Musik ist die Sprache, die dummerweise genau so alt ist wie die Musik. (Hier folgen sechs Verse eines alt-niederländischen Liedes in Paarreimen. Es soll hier nicht der Versuch unternommen werden, es in Hochdeutsch zu übersetzen. Der Titel des Liedes ist: "Van den Boonkens" und es stammt aus Van Duyse, Zeilen 1076-81).....Die Melodie ist vielversprechend, wir unternahmen in unserem Wohnzimmer einige interessante Experimente damit, aber weder wir noch unser Publikum besitzen die Geduld, sich 5 x 12 Zeilen in diesem Stil anzuhören. Sollte man es anpassen? Nein, dafür haben wir keine Zeit. Außerdem wäre das schier unmöglich – was würde übrig bleiben von dem sehr gekünstelten, aber gleichzeitig intellligenten Text, der in jeder dritten Zeile einen neuen Reim aufweist. Wir haben schon sehr viel Energie dafür verbraucht, Texte zu modernisieren, und die Hälfte davon mußten wir wieder fallenlassen. Ein Beispiel dafür ist das Lied "De Hertog van Brunswijk", eine wunderschöne Melodie, aber 88 Verse lang. Wir kürzten die Geschichte, eine Art Odyssee, auf 10 Verse, aber es wurde kein Meisterwerk daraus. Also legten wir es auf Eis, wie so viele andere Stücke, die schon zu oft gespielt wurden oder noch nicht fertig sind oder noch nicht richtig klingen oder die einer von uns aus irgendeinem Grund nicht mag. Die anderen ziehen mich noch immer mit "Stort tranen uit" auf, ein Lied über den Tod Wilhelms von Oranien – Sie wissen schon, aus dem berüchtigen Jubiläumsjahr! (1984 wurden wir in den Niederlanden überspült mit dem Gedenken an den Tod von Wilhelm von Oranien vor 400 Jahren). Ich mochte dieses Lied, weil es so schwer zu lernen war, aber die anderen bekamen immer einen Lachanfall, wenn sie es hörten. Vielleicht haben sie Recht, vielleicht ist es unmöglich.
Zum Glück sind wir uns meistens einig, wir haben dieselbe Vorstellung davon, was musikalische Klischees sind und was nicht. Ob andere unseren Geschmack teilen, das finden wir dann schon heraus.
Lieder gefallen uns, soweit es historisches Material betrifft, wenn sie wie Trompeten klingen und ihre Harmonie unberechenbar ist. Musik, die Jitze arrangiert, muß dichtgewoben sein: das ist sein Markenzeichen. Wenn wir üben, zaubert er plötzlich einige Seiten von einer alten Melodie hervor, die er arrangiert hat und von der nur eine Stimme überliefert ist oder deren andere Stimmen nicht von Interesse sind, und spielt sie uns auf der Gitarre vor. Er tut dies vor allem für Marja und ich, weil wir beide nicht gut Noten lesen können; Anneke dagegen kann das sehr gut.
Wenn wir vier das Lied dann singen, fangen seine Augen an zu glänzen und er schenkt sich noch ein Glas Selbstgebrannten ein.
Das Üben (immer bei Marja und Jitze in Wageningen) macht meistens viel Spaß, es überrascht darum nicht, daß wir unsere Auftritte oft mit einem Lied namens “Das Haarlemer Trinklied” beginnen. Der Grund dafür, dass wir neuerdings manchmal auch "Geldeloos gy doet mi pyn" (Ohne Geld tust Du mir weh) anstimmen, könnte mit der Hypothek auf ihr neues Haus zusammenhägen... Kurz gesagt: Es gibt genug zu tun und das Leben ist einfach zu kurz, es alles zu schaffen.
Das bringt mich zu der letzten Frage des Herausgebers – tatsächlich habe ich sie schon fast beantwortet, ohne es zu merken – nämlich die nach unseren Quellen.
Wir sind weder Puristen noch Musikwissenschaftler und wir stochern nicht in eventuell falsch beschrifteten Archivbeständen herum! Wir finden das Material auch nicht auf der Straße. Marja und Jitze kaufen einfach ein Buch, das alles enthält. Für den Anfang braucht man ein stabiles Bücherregal und ein stabiles Bankkonto, dann kann man folgende Bücher kaufen:
Marja und Jitze haben noch viele andere Bücher und sind selbst wahre Schatzkammern des Wissens. Möglicherweise werden wir irgendwann andere Musik spielen, zum Beispiel aus einer späteren Periode. Auch was den Stil betrifft, könnten wir uns in verschiedene Richtungen entwickeln, da Jitze, Anneke und ich alle schon verschiedenen Bands angehört haben und noch angehören. Plus die Tatsache, dass Jitze selbst Instrumente bauen kann – unserem Glück steht nichts mehr im Wege. Die einzige Frage ist, ob, wo und wann wir Auftrittsmöglichkeiten bekommen. Das liegt daran, dass wir eine passive Akquise betreiben, also gar keine.....
N.B. Die Instrumente sind ungefähr folgendermaßen verteilt: Jitze- allerlei Saiteninstrumente, Marja- Trommel, Anneke- Akkordeon und Harmonium, meine Wenigkeit Flöten und Bass. Wir singen alle vier. Solos: hauptsächlich Marja und Jitze. Arrangements: Jitze mit vielen Kommentaren und Einmischungen vom Rest der Gruppe.
PS Später entdeckten wir eine Quelle die immer wichtiger für uns geworden ist: Die Sammlung Oude en Nieuwe Hollantse Boerenlieties en Contredansen (Alte und neue niederländische Melodien und Tänze) aus 1700 - 1716.
Discographie:
"Welkom gesellen" LP (Munich Records, MU 7436)
"Goedenavond speelman" LP (Munich Records, MU 7450)
"Al vol" LP (Munich Records, MU 7476)
"Ghy sotten" CD (Clipsound, CCD 955)
"Jan de mulder" CD (Clipsound, CCD 97212)
"Laet ons den landtman loven" CD (Munich RecordsBMCD 348).
"Wie sal dan" CD (FS 240910351)
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